HG 4/4 Nr. 704
Unser "Kraftpaket"
Zur Geschichte
1924 lieferte die SLM (Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur) fünf Lokomotiven (Nr. 701 bis 705 Fabrik Nr. 2937 bis 2941) und 1930 zwei Lokomotiven (Nr. 708 und 709, Fabrik Nr. 3413 und 3414) nach Indochina, dem heutigen Vietnam. Die Maschinenfabrik Esslingen lieferte 1929 zwei weitere Lokomotiven (Nr. 706 / 707 Fabrik Nr. 4227 / 4228), nach Plänen der SLM als Reparations-Lieferung von Deutschland an Frankreich für den verlorenen Ersten Weltkrieg. Diese gingen an die damalige Bahngesellschaft Compagnie Génerale de Colonies Paris in Indochina.
Dort waren die Maschinen auf der Strecke Song Pha (früher Krong Pha) – Da Lat im Einsatz. Nach dem Zweiten Weltkrieg, im fernen Osten auch japanischer Krieg genannt, waren in den uns bekannten Aufzeichnungen nicht mehr alle neun Lokomotiven aufgeführt. 1947 erhielten die noch vorhandenen Lokomotiven neue Nummern der Südvietnamesischen Staatsbahn: Sie hiessen fortan VHX 40 302 / 303 / 304 / 306 und 308. Die vier fehlenden Triebfahrzeuge wurden durch die 1947 beschafften HG 3/4 der Furka-Oberalp-Bahn (FO) ersetzt.
Den Vietnam-Krieg überlebten von den HG 4/4 in mehr oder weniger betriebsfähigen Zustand die Lokomotiven mit den neuen Nummern 304, 306 und 308. Nach kriegsbedingten Unterbrüchen fanden 1975 die letzten Fahrten statt. Die beiden SLM-Lokomotiven 304 und 308 wurden im Depot Da Lat abgestellt. Die Esslinger Lokomotive 306 wurde im Areal der Eisenbahnwerkstatt Tap Cham deponiert und gelegentlich als Warmwasser- und Dampferzeuger eingesetzt. Viele Teile von Triebwerk und Aufbau sowie fast alle Armaturen fehlten 1990 an dieser Lok.
Im Rahmen der Reaktivierung der Furka-Bergstrecke wurden 1990, neben vier HG 3/4, auch die beiden HG 4/4 Nr. 40 304, resp. 704 und 40 308, resp. 708, in der beispiellosen Aktion "Back to Switzerland" durch die DFB in die Schweiz zurückgeführt. Die Überreste von Lok 306 resp. 706 mussten damals aus verschiedenen Gründen vorerst in Vietnam zurückgelassen werden. Der Rahmen mit den Radsätzen und dem Zahnradantrieb mit den Zylinderblöcken kam dann über den Hafen von Haiphong erst 1998 in die Schweiz.
Im Gegensatz zu allen anderen Lokomotiven der DFB hatten die HG 4/4 nie in der Schweiz im Einsatz gestanden. Für den Betrieb dieser Lokomotiven auf dem Netz der DFB war eine Erstzulassung erforderlich, was die Erstellung von umfangreichen Berechnungen und Sicherheitsnachweisen zur Folge hatte.
Ab 2006 wurden die beiden Lokomotiven 704 und 708 durch qualifizierte Fachspezialisten in der DFB-Werkstätte Chur wieder originalgetreu aufgebaut. Interessant ist, dass mit Ausnahme der Radsätze sehr wenige Teile von anderen Lokomotiven stammen. Auch die Kessel wurden nicht getauscht. Die Nummerierungen entsprechen den im SLM Archiv in Winterthur gefundenen Aufzeichnungen.
Die Lokomotiven hatten in den letzten Betriebsjahren infolge des Vietnamkrieges stark gelitten. Es wurden allerdings Unterhaltsarbeiten in Da Lat ausgeführt, obwohl die Infrastrukturen für grössere Arbeiten dort nicht vorhanden waren. So waren viele Teile weit über die Grenzmasse abgenützt. Die Lokomotivrahmen waren durch den mangelhaften Unterhalt so stark verschlissen, dass sie entgegen unserer anfänglichen Absicht nicht mehr mit vernünftigem Aufwand aufgearbeitet werden konnten.
Video 1: Revisions- und Neubauarbeiten an der HG 4/4 Nr. 704
Sie mussten, unter Verwendung noch brauchbarer Teile neu aufgebaut werden. Dieser Aufbau wurde durch die Firma Stadler Rail AG grosszügig unterstützt und Ende 2011 konnten die beiden Rahmen, die in Winterthur durch DFB-Personal in einer zur Verfügung gestellten Halle als originalgetreuen Nachbau zusammengenietet wurden, in die Werkstätte Chur überführt werden.
Somit war nun das "Fundament" vorhanden, so dass mit dem Aufbau der Lokomotiven begonnen werden konnte. Dabei wurde nur noch dort, wo es zweckmässig war parallel an beiden HG 4/4 gearbeitet, sonst aber die Lok 704 vorgezogen. Zuerst wurden die Zylinderblöcke (Dampfmaschine) und die neuen Zug-und Stossvorrichtungen (Norm MGB/RhB) eingebaut. Damit konnten die Nietarbeiten am Rahmen abgeschlossen werden. Obwohl die Lok 706 als Ersatzteilspender zur Verfügung stand, musste für die Lok 704 der linke Hochdruckzylinder sowie die Zylinder- und Schieberdeckel neu gegossen werden. Die dafür notwendigen Konstruktionspläne wurden alle durch freiwillige DFB Mitarbeiter mit CAD erstellt.
Gleichzeitig wurden die aufwendigen Reparatur- und Revisionsarbeiten am Kessel von Lok 704 aufgenommen. Auf Grund der besseren Erfahrungen mit den alten genieteten Kesseln im Vergleich mit nachgebauten Schweiss-Konstruktionen, wurde entschieden, die alten Kessel zu verwenden. Am Stehkessel mussten mehrere Teile ersetzt werden. In der 2013 neu bezogenen DFB-Lokwerkstatt in Uzwil wurde eine neue Kupferfeuerbüchse hergestellt. Auch die Rauchkammer inkl. Rauchkammer-Rohrwand mussten neu angefertigt werden. Im weiteren mussten neue Dampfsammelkasten und Gegendruckbremsgehäuse gegossen werden.
Die neue erstellte Kupfer-Feuerbüchse wurde in den revidierten Kessel eingebaut. Die ganzen Kesselschmiede-Arbeiten wurden durch DFB Personal in der eigenen Werkstätte ausgeführt. Die neuen Wasserkästen sowie das Führerhaus und der Kohlenkasten wurden neu hergestellt. Die verbauten Armaturen wurden revidiert und zum Teil auch neu hergestellt.
Damit die Lokomotiven die engen Kurven bei der DFB problemlos befahren können, waren einige kleinere Anpassungen sowohl lok- als auch gleisseitig erforderlich. Oberbauseitig waren an den Weichenverbindungen in Realp und in Gletsch Anpassungen erforderlich. Bei einigen weiteren Weichen wurde zudem der Radlenker leicht korrigiert. Diese Arbeiten wurden zumeist im Rahmen des laufenden Bau- und Unterhaltsprogrammes ausgeführt.
Als zunehmend schwieriger zeigt es sich Unternehmen oder Personen zu finden, die in der Lage waren handwerklich herzustellende Teile im Auftrag zu fertigen. So müssen für Teile, die noch vor wenigen Jahren nach Zeichnung bestellt werden konnten, zum Teil selber Werkzeuge hergestellt werden.
Video 2: Endmontage und Inbetriebnahme HG 4/4 Nr. 704
2018 war es dann soweit. Die HG 4/4 704 wurde nach 12 Jahren Arbeit und 48'000 geleisteten Stunden Freiwilligenarbeit am Wochenende vom 15. bis 17. Juni Gästen und Besuchern präsentiert. Anschliessend ging es mit kurzem Aufenthalt im Verkehrshaus Luzern nach Realp. Sofort nahm das Lokteam die Arbeit wieder auf. Vor dem ersten Anfeuern standen noch verschiedene Abschlussarbeiten auf dem Programm. Ab Anfang Juli unternahm die Lok zuerst kleine, dann immer längere Probe- und Inbetriebnahmefahrten. Die Bremstest im Adhäsionsbereich wurden auf dem MGB-Netz durchgeführt.
Am 26. September 2018 nahm der Kesselinspektor den Kessel im Betrieb ab und am 16. Oktober 2018 stand die Abnahme des Bundesamtes für Verkehr (BAV) auf dem Programm. Nachdem diese zur vollsten Zufriedenheit verlief und die nachzuliefernden Dokumente eingereicht waren, durfte man am 17. Dezember 2018 die definitive, unbefristete Betriebsbewilligung des BAV entgegennehmen.
Video 3: Jungfernfahrten der HG 4/4/ Nr. 704
Technische Daten der HG 4/4 Nr. 704
Heissdampf-Verbund-Zahnrad-Lokomotive, Typ HG 4/4 (Werkangaben 1923/1930)
Hersteller: SLM
Baujahr: Lok 704: 1923 / Lok 708: 1930
Fabriknummer: 2940 / 3413
Länge über Puffer: 8950 mm
Grösste feste Breite: 2650 mm
Grösste feste Höhe: 3460 mm
Leergewicht: 36.5 t
Dienstgewicht: 45.9 t
Kohlevorrat: 1.8 t
Wasservorrat: 4.0 m3
Leistung: 590 kW (800 PS)
Zugkraft: 143 kN (14.6 t)
Max. Geschwindigkeit Adhäsion: 40 km /h
Max. Geschwindigkeit Zahnrad: 15 km/h
Anhängelast bei 110 ‰ Steigung: 70 t
Kessel
Kesselinhalt: 2,85 m3 (bei Wasserstand 120 mm über Feuerbüchsoberkante)
Dampfdruck: 14 bar
Rostfläche: 1.65 m2
Direkte Heizfläche: 6.7 m2
Indirekte Heizfläche: 63.4 m2
Überhitzer (System Schmidt): 20.9 m2
Totale Heizfläche: 92.0 m2
Anzahl Siederohre: 104
Anzahl Rauchrohre: 18
Antrieb
System: Winterthur
Adhäsion (Hochdruck)
Steuerung: Walschaerts; Kolbenschieber mit innerer Einströmung
Zylinderdurchmesser: 455 mm
Kolbenhub: 450 mm
Zahnrad (Niederdruck)
Steuerung: Walschaerts; Kolbenschieber mit äusserer Einströmung
Zylinderdurchmesser: 455 mm
Kolbenhub: 430 mm
Triebraddurchmesser: 855 mm
Totaler Radstand: 4440 mm
Zahnradsystem: Abt
Anzahl Zahnräder: 2
Zahnradteilkreis: 840 mm
Anzahl Zähne: 22
Teilung: 120 mm
Vorgelege-Untersetzung: 2:1
Bremsausrüstung
Beharrungsbremse: Gegendruck-(Repressions-)bremse
Adhäsion: Vakuum-Klotzbremse + Handspindelbremse
Zahnrad: 2 x Hand-Spindelbremse (Bandbremse) auf Vorgelege